Promotionskolleg "Die Politische Ökonomie der Ungleichheit"

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Das Promotionskolleg

Das Promotionskolleg untersucht Ausmaß, Ursachen und Folgen steigender sozioökonomischer Ungleichheit. Materielle Unterschiede stehen dabei im Mittelpunkt, werden aber stets in Zusammenhang zu politischen, sozialen und ökologischen Aspekten gesetzt. Unsere Forschungspraxis ist von einem interdisziplinären und anwendungsorientierten sozioökonomischen Ansatz geprägt. Darin integrieren wir gleichberechtigt ökonomische Ungleichheitsforschung, Politische Ökonomie und Wirtschaftssoziologie sowie aktuelle wirtschafts- und sozialpolitische Reformdiskurse.


Team
Forschung
Bewerbung

Betreuer*innen

[Prof. Dr. Till van Treeck]

Prof. Dr. Till van Treeck

Schwerpunkt Gesamtwirtschaftliche Analysen

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Jakob Kapeller

Prof. Dr. Jakob Kapeller

Geschäftsführender Direktor am Institut für Sozioökonomie mit Schwerpunkt Plurale Ökonomik

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Prof. Dr. Ute Klammer

Geschäftsführende Direktorin am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ)

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Paul Marx

Prof. Dr. Paul Marx

Schwerpunkt Vergleichende Politische Ökonomie und Wirtschaftssoziologie

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Miriam Rehm

Prof. Dr. Miriam Rehm

Schwerpunkt Empirische Ungleichheitsforschung

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Prof. Dr. Achim Truger

Schwerpunkt Staatstätigkeit und Staatsfinanzen

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Forschung

Forschungsthemen

Die inhaltlichen Schwerpunkte des Kollegs liegen in:

  • Der multidimensionalen Messung von Ungleichheiten im nationalen und internationalen Kontext, mit einem gezielten Fokus auf ökonomische Ungleichheitsdimensionen wie Einkommen, Vermögen und Arbeitszeit.
  • Der Analyse von wechselseitigen Zusammenhängen zwischen Ungleichheitsdimensionen insbesondere den sozialen, politischen und ökologischen Ursachen und Folgen von ökonomischer Ungleichheit.
  • Einer pluralistischen und interdisziplinären Theoriebildung.

Diese sozioökonomische Perspektive auf Ungleichheit ermöglicht umfassendere Problemanalysen, differenziertere empirische Herangehensweisen und bessere Politikempfehlungen. Die entwickelten Handlungsoptionen sollen einerseits den komplexen Ursachen sozioökonomischer Ungleichheit Rechnung tragen und andererseits die politische Umsetzbarkeit vor dem Hintergrund sich wandelnder gesellschaftlicher Konfliktlinien berücksichtigen. Durch den sozioökonomischen Ansatz wird dabei sozialen, politischen und historischen Kontexten Rechnung getragen. Das Promotionskolleg soll so insgesamt dazu beitragen, zeitgemäße Antworten auf Ungleichheit als eines der drängendsten Probleme unserer Zeit zu entwickeln.

 

Konkret stehen vier Themenbereiche im Kern des Kollegs:

Ausmaß und Ursachen der Ungleichheit

Eine faktenbasierte Auseinandersetzung mit Verteilungsfragen ist Voraussetzung für die Entwicklung von Lösungsansätzen.

Aktuell wird in der Forschungsliteratur intensiv diskutiert, warum der Anteil der Unternehmensgewinne am Nationaleinkommen (funktionale Einkommensverteilung) in der jüngeren Vergangenheit so stark gewachsen ist (Autor et al. 2017; Chen et al. 2017). Neben ökonomischen Faktoren wie Digitalisierung und Globalisierung kommen hier arbeitsmarkt-, sozial- und steuerpolitische Reformen in Betracht. Eine wichtige Forschungslücke ist zudem die Analyse der seit den frühen 2000er Jahren stark gestiegenen Unternehmensersparnis in Deutschland. Diese werden in konventionellen Statistiken zur Einkommensungleichheit (Gini-Koeffizient, Quantilanteile der Haushaltseinkommen, usw.) bisher nicht berücksichtigt, weil sie nicht als Haushaltseinkommen erfasst werden. Hierdurch dürfte es zu einer Unterschätzung der Ungleichheit kommen, weil Betriebsvermögen, und damit der Anspruch auf einbehaltene Unternehmensgewinne, besonders ungleich verteilt sind. Eine ganzheitlichere Betrachtung sozioökonomischer Ungleichheit ist daher wichtig, insbesondere für die ländervergleichende Analyse (etwa mit den USA, wo einbehaltene Gewinne eine deutlich geringere Rolle spielen, Behringer/van Treeck 2018, 2019). Eine informierte Debatte über Ungleichheit in Deutschland ist auf eine Aufklärung über versteckte Ungleichheiten angewiesen, gerade im Bereich der Vermögen, in dem die Datengrundlagen oftmals unzureichend sind (etwa Eckerstorfer et al. 2016, Rehm/Schnetzer 2015). Grundsätzlich stellt sich die Frage, welche normativen und politischen Implikationen die Entscheidung für bestimmte Maßzahlen der Ungleichheitsmessung haben können.

Eine solche umfassendere Betrachtung erlaubt es auch, Interdependenzen zwischen verschiedenen Dimensionen der Ungleichheit verständlich zu machen. Ein Beispiel hierfür liefert die Finanzialisierungsforschung (z.B. van der Zwan 2014), die die politische Bedingtheit steigender Ungleichheit am Beispiel der Finanzmarktderegulierung festmacht. Gleichzeitig arbeitet sie wachsende Ungleichheit als Quelle ungleichen politischen Einflusses und damit weiterer politischer Deregulierungsschritte heraus. Derartige Rückkopplungseffekte zu benennen und zu verstehen ist ein wesentlicher Vorteil unserer interdisziplinären Herangehensweise.

Um Ungleichheit und ihr Ausmaß zu verstehen, müssen wir sie also in ihrem jeweiligen institutionellen und kulturellen Kontext betrachten. Aus sozioökonomischer Sicht lässt sich beispielsweise untersuchen, ob in Deutschland die offene Zurschaustellung von Reichtum kulturell weniger honoriert wird als etwa in den USA, welchen Einfluss die kulturelle Bewertung unterschiedlicher Sparneigungen auf wirtschaftspolitische Einstellungen hat oder wie der Mittelstand als Spezifikum der Unternehmenskultur in Deutschland das Unternehmenssparen und damit verdeckte Ungleichheiten prägt. Neben diesen an Deutschland ansetzenden Fragestellungen sind auch internationale Perspektiven mittels eines solchen interdisziplinären Ansatzes adressierbar – darunter etwa die Frage, ob die These eines sukzessiven Übergangs zu einer neuen Kultur des „patriomonialen Kapitalismus“ (Piketty 2014) plausibel erscheint.

Diese Beispiele sollen verdeutlichen, dass ökonomische, politische und kulturelle Aspekte sozioökonomischer Ungleichheit inhärent verbunden sind. Eine solche Perspektive kann insbesondere auch für die wirtschaftspolitische Debatte wichtige Erkenntnisse liefern (etwa im Bereich der Besteuerung von Haushalts- und Unternehmenseinkommen, Erbschaften bzw. Vermögen, vgl. Truger 2013; Godar et al. 2014, 2015; Ferschli et al. 2018).

Ökonomische Folgen von Ungleichheit

In der Literatur ist gut dokumentiert, dass die steigende Einkommens- und Vermögensungleichheit seit den 1980er Jahren mit einer erhöhten makroökonomischen Instabilität und einem vergleichsweise schwachen Produktivitätswachstum einherging (Ostry et al. 2014; van Treeck 2014). Diese negativen wirtschaftlichen Konsequenzen von Ungleichheit entstehen auf mehrere Arten: Zunächst über den Finanzmarkt, Verschuldung der unteren und mittleren Einkommensgruppen und das Anlageverhalten der „Superreichen“, aber auch durch eine allgemeine Nachfrageschwäche auf Grund fehlender Kaufkraft.

Die Konzentration von Vermögen in den Händen Weniger führt dazu, dass eine höhere Volatilität von Vermögenspreisen auf den Finanzmärkten vorhanden ist. Reiche Personen tendieren zu riskanteren Anlageformen, die zwar höhere Renditen versprechen, aber auch ein höheres Verlustrisiko mit sich bringen. So halten Reiche einen höheren Anteil ihres Vermögens in Aktien (Ederer/Mayrhofer/Rehm 2019). Zudem besteht eine Gefahr für die finanzwirtschaftliche Stabilität, wenn diese Risikogeschäfte schuldenfinanziert sind, weil durch den Leverage-Effekt schon geringe Wert- oder Einkommensverluste dazu führen können, dass die Schulden nicht mehr bedient werden können. Wenn Vermögen politisch einen großen Einfluss haben, können Finanzmarktregulierungen abgebaut und damit Spekulation Vorschub geleistet werden. Das wiederum kann zur Bildung von Blasen an den Finanzmärkten beitragen (Rehm/Schnetzer 2016).

In verschiedenen Ländern wurde unterschiedlich auf den Anstieg der Ungleichheit seit den 1980er Jahren reagiert. Einige Länder versuchten, dieser strukturellen Nachfrageschwäche wirtschaftspolitisch gegenzusteuern: In den USA wurden gezielt die Verschuldungsmöglichkeiten der Privathaushalte ausgeweitet, damit der Konsum mit der Produktion trotz der Einkommens- und Vermögenskonzentration mithalten kann (Rajan 2010, Reich 2010). Der Zugang zu Krediten für Konsumenten selbst mit zweifelhafter Bonität wurde durch deregulierte und „innovative“ Kreditmärkte ermöglicht, aber auch durch die direkte politische Förderung von Immobilienkrediten und eine expansive Geldpolitik. Allerdings hat die Überschuldung der privaten Haushalte maßgeblich die Gefahr einer privaten Schuldenkrise erhöht, die sich schließlich in der Großen Rezession ab 2008 realisierte. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich für Großbritannien und einige andere Länder insbesondere im angelsächsischen Raum feststellen, die im Vorfeld der Krise ebenfalls einen starken Anstieg der Spitzeneinkommen und der privaten Verschuldung erlebten.

In einer Reihe weiterer Länder, zu denen auch Deutschland gehört, ist es in den Jahren vor der Krise ebenfalls zu deutlichen Verschiebungen in der Einkommensverteilung hin zu mehr Ungleichheit gekommen, allerdings gingen diese mit einer im Vergleich zur Exportdynamik schwachen binnenwirtschaftlichen Entwicklung und zunehmenden Exportüberschüssen einher.

Während in den USA oder Großbritannien die Unternehmen ihre steigenden Einnahmen unter dem Druck der „Shareholder Value-Orientierung“ und des „Markts für Manager“ an die Spitzenverdiener innerhalb des Haushaltssektors weitergegeben haben, hat der Unternehmenssektor in Deutschland seine während der 2000er Jahre explodierenden Gewinne in hohem Maße einbehalten und seitdem sogar anhaltende Finanzierungsüberschüsse gebildet. Die damit einhergehende schwache Entwicklung der Lohn- bzw. Haushaltseinkommen (und die im Vergleich zu den angelsächsischen Ländern geringeren Möglichkeiten zu kreditfinanziertem Konsum) werden von vielen Ökonomen als eine Ursache für die schwache binnenwirtschaftliche Entwicklung und die hohe Exportabhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft angeführt (Baccaro/Pontusson 2016; Behringer/van Treeck, 2019).

Ein zentrales Forschungsdesiderat in der Analyse der ökonomischen Folgen steigender Ungleichheit, welches wir im Rahmen unseres Promotionskollegs angehen wollen, ist die Integration von Ansätzen aus Makroökonomik, Vergleichender Politischer Ökonomie und Wirtschaftssoziologie. So ist es zum Beispiel zentral, bei der Analyse gesamtwirtschaftlicher „Wachstumsmodelle“ (Baccaro/Pontusson 2016) die Rolle gesellschaftsspezifischer Statusvergleiche zu betrachten (Kapeller/Steinerberger 2014; Kapeller/Schütz 2015). Wenn die Mittelschicht bei steigender Ungleichheit und im Zuge von aufwärtsgerichteten Statusvergleichen versucht, ihr relatives Konsumniveau im Bereich positionaler Güter im Vergleich zu den oberen Einkommensgruppen aufrechtzuerhalten, kann ein Anstieg der Ungleichheit zu geringerer Ersparnisbildung, steigender Verschuldung und längeren Arbeitszeiten führen (Frank et al. 2014; Bertrand/Morse 2016). Dies könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn Teile der Daseinsvorsorge wie Bildung, Gesundheit und Wohnen durch Privatisierung Bestandteil von Statusvergleichen werden (Fessler et al. 2016). Hierin könnte eine Erklärung dafür liegen, warum sich in den USA und Großbritannien im Zuge steigender Ungleichheit ein schuldengetriebenes Wachstumsmodell (debt-led growth model) herausbildete, und in Deutschland und Japan ein exportgetriebenes Modell (export-led growth). Hieraus könnten sich auch wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen hinsichtlich der öffentlichen Daseinsvorsorge einschließlich des öffentlichen Wohnungsbaus ableiten lassen.

Wechselwirkungen mit sozialen und politischen Problemen

Neben ökonomischen Folgen hat Ungleichheit auch Konsequenzen für Lebensqualität und soziale Teilhabe. Dabei sind insbesondere Wechselwirkungen in den Blick zu nehmen – also Fälle, in denen soziale Ungleichheiten ihren eigenen Nährboden bilden. Dies ist immer dann der Fall, wenn bestehende Ungleichheit zu systematischen Nachteilen – größere Umweltbelastung, schlechtere Bildungsinfrastruktur, größeres Stresspotential – für jene Gruppen führen, die ein geringeres Einkommen beziehen bzw. ein kleineres Vermögen besitzen (etwa Haushofer/Fehr 2014, Klammer et al. 2012).

Anerkennung durch die Gemeinschaft zu erfahren, ist eines der wichtigsten menschlichen Bedürfnisse (Baumeister/Leary 1995; Collins 2004; Honneth 1997). Aus evolutionären Gründen sind Menschen überaus sensibel für Signale, die auf soziale Exklusion, die Verletzung von Reziprozität und illegitime Statusunterschiede hinweisen (Bowles/Gintis 2011; Damasio 2018; Eisenberger 2015). Materielle Ungleichheit schafft solche Signale, da sie sich vor allem im Bereich der Konsummöglichkeiten in einer Symbolik spiegelt, die gleichzeitig Statusunterschiede markiert und legitimiert (Bourdieu 1982). Diese Status-Symbolik bildet einen wichtigen relationalen Mechanismus, durch den Ungleichheit unmittelbar erfahrbar wird und sich in negative Emotionen überträgt – potentiell bis in die obere Mittelschicht hinein.

Die psychosoziale Komponente sozioökonomischer Probleme ist gut untersucht für arbeitslose und von Armut betroffene Menschen (Jahoda 1982; Paul/Moser 2009), bei denen Stigmatisierung und Anerkennungsverweigerung besonders ausgeprägt sind (Walker 2014). Belastende, weil mit erheblichem Stress behaftete Erfahrungen sind außerdem unsichere und atypische Beschäftigungsverhältnisse (Benach et al. 2014; Sverke et al. 2002). Vor dem Hintergrund der gravierenden Folgen von langanhaltendem Stress für die Gesundheit (etwa in Form von Herzkreislauferkrankungen oder Depressionen) ist es nicht überraschend, dass sozioökonomische Probleme krank machen (Bambra 2016; Haslam et al. 2018; Harris/Schorpp 2018).

Ebenso schneiden ungleiche Gesellschaften bei der Bildung schlechter ab. Internationale Studien zeigen, dass der durchschnittliche Bildungsabschluss in Ländern mit größerer Ungleichheit niedriger liegt (Wilkinson/Pickett 2009). Bei den Lese- und Schreibkompetenzen der Bevölkerung ist dieser Zusammenhang ebenfalls zu beobachten. Diese Beobachtungen hängen mit einem besonders schwerwiegenden Problem ungleicher Gesellschaften zusammen, das Alan Krueger (2012) in der „Great Gatsby Curve“ beschrieben hat: Mit steigender Ungleichheit nimmt die soziale Aufwärtsmobilität ab (Corak 2013). Die zu Grunde liegenden Kausalmechanismen sind komplex. Sie dürften sowohl den Zusammenhang von frühen Kindheitserfahrung und kognitiver Entwicklung berühren, als auch die Organisation von Bildung und kulturelle Spaltungen in ungleichen Gesellschaften.

Viele negative gesellschaftliche Effekt materieller Ungleichheit kristallisieren sich in Befunden zum sozialen Vertrauen. Ein vertrauensvolles Zusammenleben ist nicht nur wichtig für das Wohlbefinden der Mitglieder einer Gesellschaft, es ich auch eine wichtige Ressource für wirtschaftliche Transaktionen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass ungleiche Gesellschaften weniger generalisiertes Vertrauen aufweisen (Delhey/Dragolov 2014; Uslaner/Brown 2005). Als zu Grunde liegender Mechanismus liegt nahe, dass die Salienz von Statusvergleichen und damit verbundene Emotionen (Neid, Ressentiment, Angst, Scham) sozialen Zusammenhalt untergraben.

Schließlich mehren sich die Anzeichen, dass materielle Ungleichheit politische Teilhabe und Repräsentation schwächen. Ungleichheit beschädigt das Ansehen der Demokratie und das Vertrauen in die Politik (Stiglitz 2012; Schäfer 2010). In ungleichen Gesellschaften ist politisches Engagement stärker zu Gunsten höherer Schichten verzerrt (Keading et al. 2016; Solt 2008), während großzügige Wohlfahrtsstaaten die Partizipation von Menschen in prekären Lebenslagen fördern (Marx/Nguyen 2016). Dem Konnex zwischen sozioökonomischer Ungleichheit, politischer Stabilität und der Einstellung zur Demokratie kommt daher im geplanten Kolleg eine wesentliche Rolle zu. Bezüge zur Geschlechter- und Familienforschung, aber auch zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung werden dabei im Promotionskolleg sichergestellt.

Die politische Einbettung ökonomischer Ungleichheit soll insgesamt eine wichtige Rolle für den Forschungsprozess spielen. Prinzipiell ist davon auszugehen, dass ungleich verteilte ökonomische Ressourcen und politische Macht einander zirkulär verstärken (Rehm/Schnetzer 2015; Schneebaum et al. 2018). Auf der einen Seite ermöglicht eine hohe Konzentration von Einkommen und Vermögen kleinen gesellschaftlichen Gruppen potentiell eine überproportionale politische Einflussnahme. Dies kann durch Parteispenden und andere Lobbying-Aktivitäten geschehen (Hacker/Pierson 2010), aber auch durch die Beeinflussung der politischen Agenda und der Willensbildung (Emmenegger/Marx 2019). Solche Prozesse sind nach wie vor besser für die USA untersucht, obwohl es deutliche Hinweise darauf gibt, dass sozioökonomische Ungleichheit auch die politischen Gleichgewichte in egalitären nord- und kontinentaleuropäischen verschoben hat (Elsässer 2018; Svallfors 2016). Auf der anderen Seite führt verzerrter politischer Einfluss wiederum zu höherer Ungleichheit, etwa wenn die stärkere Besteuerung sehr hoher Einkommen und Vermögen oder eine effektive Schließung von Steuerschlupflöchern verhindert wird.

Verteilungspolitik in Zeiten steigender Ungleichheit

Es gibt wenig Zweifel daran, dass wohlfahrtsstaatliche und finanzpolitische Reformen in vielen Ländern zum Wachstum sozialer Ungleichheit beigetragen haben und dass ohne politische Reformen Ungleichheit nicht effektiv reduziert werden kann (Truger 2013; 2014). Eine zentrale politökonomische Frage lautet daher aus unserer Sicht, wieso gerade jene Maßnahmen, die besonders effektiv die Konzentration von Wohlstand korrigieren könnten, so selten auf der politischen Agenda zu finden sind (Godar et al. 2014; 2015). Diese Frage lässt sich in zwei Punkte unterteilen: 1) Welche Aspekte von Arbeitsmarkt-, Sozial- und Finanzpolitik reduzieren effektiv die Ungleichheit? 2) Welche Reformen lassen sich in der gegenwärtigen politischen Konstellation durchsetzen? Die beiden Fragen stehen möglicherweise in einem Spannungsverhältnis zueinander und sollten gerade aus diesem Grund gemeinsam betrachtet werden. Eine besondere Brisanz erhalten diese Fragen vor dem Hintergrund der Digitalisierung von Produktionsprozessen. Die damit verbundenen Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt dürften ohne sozial- und verteilungspolitische Begleitung gesellschaftlich kaum zu bewältigen sein.

Insgesamt lassen sich wandelnde Bedingungen für die politische Durchsetzbarkeit umverteilender Maßnahmen beobachten. Ungleiche Beteiligung an politischen Prozessen verringert die Anreize für Parteien, die Interessen sozioökonomisch benachteiligter Gruppen zu vertreten (Elsässer et al. 2017). Die wachsende Salienz kultureller Konfliktlinien erschwert es politischen Parteien zusätzlich, Mehrheiten für solidarische Sozialpolitik zu organisieren (Alesina et al. 2019; Piketty 2018). Dies geschieht vor dem Hintergrund weiterer, möglicherweise an Bedeutung gewinnender Konflikte über die konkrete Ausgestaltung von Sozialpolitik (etwa zwischen Generationen, zwischen „Insidern“ und „Outsidern“ oder zwischen der Mittelschicht und direkt von Armut betroffenen Menschen). Zusätzlich zu diesen Schwierigkeiten, Interessenskoalitionen im Rahmen nationaler politischer Systeme herzustellen, tritt ein europäischer wie globaler Standortwettbewerb, der die faktischen oder wahrgenommenen Kosten umverteilender Politiken erhöht und somit schwieriger durchsetzbar macht (Kapeller et al. 2016, Egger et al. 2018). Wie die unterschiedlichen Interessenslagen verschiedener Gruppen ausgestaltet sind und wie sich diese in Reformprojekten integrieren lassen, sind wichtige akademische, aber auch politische Fragen. Dies gilt umso mehr in Zeiten, in denen Sozialpolitik zunehmend wohlfahrtchauvinistischer Kritik ausgesetzt ist.

Mögliche Analysen reichen dabei von konkreten Betrachtungen einzelner arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Politikfelder – z.B. Mindestlohn (Pusch/Rehm 2016), Alterssicherung (Brettschneider/Klammer 2016) oder Wohnungsbauförderung (Fessler et al. 2016) – bis hin zu umfassenderen Ansätzen, die die Korrektur der Einkommensverteilung als Querschnittsaufgabe über viele Politikbereiche betrachten (Atkinson 2015; Eicker-Wolf/Truger 2017).

Ein besonderes Augenmerk soll dem Steuersystem sowie der öffentlichen Diskussion und Wahrnehmung von Ungleichheit gelten. Während Steuersenkungen erheblich zum Anstieg der Ungleichheit beigetragen haben (Godar et al. 2014; Truger 2013), ist die Ungleichheitsaversion im selben Zeitraum gestiegen (Marx/Starke 2017). Interessanterweise zeigt aber ein Blick auf die bestehende Literatur, dass sowohl akademische als auch öffentliche Debatten stark zu Gunsten der Ausgabenseite verzerrt sind. In der Politischen Ökonomie überwiegen Studien zu sozialpolitischen Politikfeldern und Reformprozessen, während die Einnahmenseite ein existentes, aber überschaubares Forschungsthema darstellt. In der (deutschen) öffentlichen Debatte wird noch immer über die „Hartz-Reformen“ gestritten, während die schwerwiegenden Steuer(nicht)reformen der vergangenen 20 Jahre vergleichsweise wenig Beachtung finden. Wenn über die Bekämpfung von Ungleichheit diskutiert wird, sind Mindestlöhne, Renten und Bildung in der Regel näherliegende Themen als Steuern. Inwieweit dies die Folge instrumenteller oder struktureller Macht von bestimmten Interessensgruppen ist (Bell/Hindmoor 2014; Culpepper 2010) und wie sich eine Umstrukturierung des Steuersystems politisch durchsetzen lässt, wird ein wichtiger Bestandteil unserer Forschung sein.

Wissenschaftskommunikation

Forschungsergebnisse des Promotionskollegs werden regelmäßig auf dem ifso-blog veröffentlicht.

Außerdem erschien 2023 im Makronom eine Publikationsreihe unter dem Titel „Ungleichheit und Macht“, in der die Promovierenden Teilergebnisse ihrer Forschung vorstellen, gesellschaftliche Herausforderungen sowie politische Handlungsoptionen diskutieren.

 

Begleitprogramm

Ein wichtiger Bestandteil des Promotionskollegs ist ein strukturiertes Begleitprogramm. Das übergeordnete Ziel des Programms ist einerseits, Stipendiat*innen eine breite, interdisziplinäre Ausbildung zu bieten. Andererseits werden die Promovierenden mit einer fokussierten und individuellen Förderung in die Lage versetzt, ihre jeweiligen Fachdiskussionen auf höchstem methodischen Niveau zu führen und ihr Promotionsvorhaben zielgerichtet und innerhalb des vorgegebenen zeitlichen Rahmens abzuschließen. Zu diesem Zweck bieten wir ein anspruchsvolles strukturiertes Begleitprogramm, das eine fundierte Grundlagenausbildung mit personalisierter Förderung kombiniert.

Das Begleitprogramm umfasst ein regelmäßiges Kolloquium, zwei einsemestrige Methodenkurse, eine eigens für das Promotionskolleg geschaffene jährliche Summer School, regelmäßige thematische Mini-Kurse und Workshops zur Wissenschaftskommunikation sowie die Gelegenheit zu Forschungsaufenthalten an einschlägigen Einrichtungen im In- und Ausland.

Förderung

Promovierende erhalten derzeit eine monatliche Förderung in Höhe von 1.450 € (umfasst 1.350 € Grundstipendium, 100 € Forschungskostenpauschale). Zusätzlich können bis zu 100 € Krankenkassenzuschuss und ggf. Familienzulagen gezahlt werden. Die Laufzeit der Stipendien beträgt max. drei Jahre. Den Stipendiat*innen stehen Arbeitsplätze an der Universität Duisburg-Essen zur Verfügung. Eine hohe Präsenz in Duisburg wird erwartet, um Synergien zwischen den Forschungsvorhaben nutzen zu können. Die Stipendiat*innen haben Zugang zum umfangreichen ideellen Förderprogramm der Hans-Böckler-Stiftung.

Weitere Informationen zur Promotionsförderung der Hans-Böckler-Stiftung